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oper

Naiver Barock-Workshop


Festwochen: Szenische Bach-Kantaten von Peter Sellars

Regisseur Peter Sellars enttäuschte bei den Wiener Festwochen mit einer naiv wirkenden szenischen Deutung zweier Bach-Kantaten.

Johann Sebastian Bachs Kantaten „Mein Herze schwimmt im Blut“ und „Ich habe genug“ mögen für heutige Hörer recht verstörende literarische Bilder in Töne setzen: Ausgedorrte Herzen, die, einem Tränenbrunnen gleich, in Blut schwimmen. Doch das entspricht durchwegs dem damals gängigen Bilderrepertoire. Die protestantische Lyrik des Spätbarocks bedient sich einer typisierten, bilderreichen Sprache, ist aber nicht Ausdruck seelischer Befindlichkeiten eines Dichtersubjekts. Gemeint sind vielmehr Sinnbilder für die Hinwendung zu Gott. (Ebenso wenig sollte man die orthodox-lutherisch und pietistisch gefärbten Texte mit Bachs Befindlichkeit gleichsetzen.)

Peter Sellars ignorierte alle historischen Fakten und lieferte im Rahmen der Wiener Festwochen eine Interpretation religiöser Texte, wie wir sie aus amerikanischem Kirchen-TV kennen: unter völliger Ausblendung ihres historischen Kontextes und der Anwendung simpler Küchenpsychologie. Nicht dass man ahistorisches Vorgehen von Sellars nicht schon gewohnt wäre. Das Ergebnis ist diesmal jedoch dürftig.

Auf theoretischer Ebene: Sellars verwechselt die barocke „Allegorie“ mit dem psychologisch gedeuteten „Symbol“, erweitert nicht ins Allgemeine, Abstrakte, sondern verengt ins Konkrete. Sellars legte die in ihren Anspielungen nur mit bester Bibel-Kenntnis verständlichen Texte psychologisch, ja psychosomatisch aus. „Mein Herze schwimmt im Blut“, BWV 199, wurde zum platten Seelendrama. Das Bühnen-Setting hielt Sellars simpel: Links das Orchester, rechts ein schwarzes Podium, auf dem sich die Sängerin Lorraine Hunt Lieberson bewegte. Wiederkehrende Textzeilen doppelte Sellars mit einfachen Bewegungsmustern. „Tief gebückt und voller Reue“ warf sich die Sängerin flehend vors Publikum. In seiner naiven Unmittelbarkeit wirkte das wie ein Improvisations-Workshop.

Die amerikanische Mezzosopranistin sang mit warmem Timbre und etwas opernhafter Phrasierung, ihr gelang eine durchaus eindringliche musikalische Deutung. Das Bostoner „Orchestra of Emmanuel Music“ unter Craig Smith gab der Musik kaum Profil, die undifferenzierte Streichergruppe sorgte für einen süßlich-dumpfen Bach-Sirup.

„Ich habe genug“ (BWV 82) deutete Sellers als Ausdruck für das Abschiednehmen vom Leben durch eine todgeweihte Patientin. Das mag aus konkreter Betroffenheit heraus durchaus relevant sein, als ästhetisches Konzept taugt es nicht. Die einfachen Bewegungen duplizierten auch hier die musikalischen Formabläufe. Zur Sängerin trat der Tänzer Michael Schumacher. Er ließ mit spärlichen Gesten eine große Glühbirne um die Sängerin kreisen. Als Bild für die Hoffnung auf das Jenseits hatte sich das schnell verbraucht.

„Was Bach so tief macht, ist die Da-capo-Struktur seiner Arien“ schreibt Peter Sellars im Programmheft. Mit kargen Bewegungsmustern setzte er diese musikalische Struktur räumlich um. Aber ist das wirklich das, was Bachs Musik „so tief macht“? Wieso sind dann Myriaden anderer Da-capo-Arien nicht „so tief“? Nicht die einzige Ungereimtheit in Sellars’ Konzept.


 
  



 
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