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Einsamkeit und Erinnerung


Osterklang/Museumsquartier: John Neumeiers „Winterreise“

John Neumeiers choreografierte „Winterreise“ aus dem Jahr 2001 war beim Wiener „Osterklang“-Festival zu Gast. Musikalische Grundlage ist Hans Zenders aufregende Version von Schuberts Liederzyklus.

Im Bühnenhintergrund ein Mosaik von Porträts. Links vorne eine einsame Straßenlampe, zwischen Publikum und Orchestergraben ein schmaler weißer Streifen mit künstlichem Schnee. Von der Decke ein grün belaubter Ast. Eine kurze Treppe, die im Nichts endet. Dazwischen hauptsächlich nichts. So sieht Yannis Kokkos’ Bühne für John Neumeiers „Winterreise“-Version aus. Der Choreograf macht ebenfalls die Reduktion zu einer Tugend. Seine „Winterreise“ ist eine Versuchsanordnung über die Einsamkeit und das, was bleibt: die Erinnerung.

Der kompakt geführten Compagnie des Hamburg Ballett stellt er stark individualisierten Solisten gegenüber. Formationen entstehen nur, um wieder aufgelöst zu werden. Handlung gibt es keine, die Strukturen erscheinen nicht abgeschlossen. Die Entwicklung der „Winterreise“ – zunehmende Einsamkeit und Entfremdung – wird auf alle Solisten verteilt. Da gibt es das Mädchen, das ihr Buch zerreißt („Auf dem Flusse“), den jungen Mann, der ein Duett mit seinem Schirm tanzt, den Solo-Tänzer, der mit den Männern der Compagnie einen hoffnungslosen Boxkampf vom Zaun bricht („Mut“) und einen Mann im Anzug, der vor einer großen Leinwand sitzt und sich die vergilbten Aufnahme eines Familienfests ansieht.

Mit vielen der miteinander verzahnten Szenen gelingen Neumeier stimmungsvolle Bilder und Assoziationen zu Schuberts Liedern. Neumeier und der Schubert-Bearbeiter Hans Zender wollen die revolutionäre „Winterreise“ dem heutigen Publikum näher zu bringen. Dem Komponisten gelingt das besser als dem Choreografen. Zender hat mit seiner „komponierten Interpretation“ so etwas wie einen dekonstruierenden Remix vorgenommen, der Schuberts „Winterreise“ mit einem verstörenden Ruck in die Gegenwart versetzt. Das Stück gehört zum Repertoire des Klangforum Wien und des Ensemble Modern, Tenor Christoph Pregardien sorgte mit einer Einspielung für Furore. Für den „Osterklang“ spielte das RSO Wien unter Johannes Kalitzke, es sang Scot Weir. Die Schärfe und Präzision der Interpretation durch die Spezialisten-Ensembles Klangforum und Ensemble Modern vermisste man schmerzlich. Scot Weir hingegen ließ keine Wünsche offen, er interpretierte die Gesangsstimme klar und prägnant. Durch die in der Halle notwendige technische Verstärkung ging jedoch die schockartige Unterscheidung zwischen unverstärkter und verstärkter Gesangsstimme verloren.

Im Mittelpunkt des Tanzabends stand, als roter Faden in Neumeiers Konzept, der japanische Tänzer Yukichi Hattori. In einem Schlabberpullover betritt er die Bühne, windet sich um die zu langen Ärmel. Tänzerisch ist er am weitesten von klassischen Figuren entfernt. Er bleibt schließlich allein mit dem „Leiermann“, durch einen Tänzer personifiziertes letztes Lied der „Winterreise“, zurück. Neumeier schließt mit einem berückenden Bild: Hattori windet sich aus dem Pullover und verlässt den Bühnenraum, zurück bleibt der „Leiermann“ – im Schlabberpulli.


 
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