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ernste musik

Konzerthaus: Rudolf Buchbinder


Auf der Suche nach der verkappten Sonate

Rudolf Buchbinder spielte Spätwerke von Franz Schubert. Dabei erwies sich der Pianist, der für Viele als Ambassador des wienerischen Musizierens gilt, nicht als idealer Schubert-Interpret.

Mit großem Ton hob Rudolf Buchbinder seinen Schubert-Abend im Konzerthaus an, als wolle er zeigen, dass in den vier Impromptus D 935 eine Sonate schlummert. Offensichtlich wollte Buchbinder die Sätze dramaturgisch zusammenhalten. Das hat viel für sich, das Vorhaben wurde ihm jedoch nicht nur durch störende Zwischensatz-Huster verübelt. Zum strengen Maß, das er zunächst anlegte, gesellte sich bald ein liedhafter Duktus. Der eingeschlagene Weg schien Buchbinder unter den Fingern zu zerbröseln. Der Pianist nahm sich interpretatorische Freiheiten, die weder musikalisch noch historisch begründet wirkten. Sentimentales Gemurmel, huschende Skalen und vernebelte Begleitfiguren mochten im Moment Effekt machen, gingen aber an der Substanz des Werks vorbei.

Im As-Dur-Impromtu strich Buchbinder rhythmisch aufdringlich das Wienerische heraus. Das Folgende in B-Dur vertiefte den Eindruck des Zerrissenen. Das Binnentempo gestaltete Buchbinder so unstet, dass einem ganz seekrank werden konnte von all den Wellen. Nicht freies Fließen, sondern unvermutetes Eilen und Hetzen bis zum nächsten unvermittelten Ritardando dominierte die heiklen Begleitfiguren. Dann ging mit Buchbinder wieder die Virtuosität durch, wurden Läufe ihrer musikalischen Funktion enthoben und zu sinnentleerten Tonleitern, als hieße der Komponist nicht Schubert, sondern Herz oder Cramer.

Dass Buchbinder gern ohne erkennbaren dramaturgischen Zusammenhang innerhalb einer Phrase die Aufmerksamkeit zwischen den Stimmen wechselt, trübte auch seine Interpretation der B-Dur-Sonate D 960. Dynamisch pendelte der Klang zwischen einem wattigen Mezzopiano und einem harten Fortissimo, was für Bruckner-artige Block-Effekte sorgte. Der letzte Satz verlor sich in kleinteiligem Geplänkel, manche Phrasierung schien gegen die natürliche Entwicklung des Stücks gesetzt. Die Coda, ob ihrer Qualität schon immer Gegenstand heftiger Diskussionen, warf Buchbinder hin, als wolle er beweisen: Dies ist nur ein Verlegenheits-Schluss. Irgendwie muss man ja aufhören.


 
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Duftig aufblühende Kantilenen


Musikverein: Wiener Symphoniker, Georges Prêtre

Unter Georges Prêtre präsentierten sich die Wiener Symphoniker in Bestform. Der französische Dirigent animierte das Orchester zu Höchstleistungen. Ein beeindruckendes Konzert mit Ravels „Bolero“ als Höhepunkt.

Mit Bahms’ Tragischer Ouvertüre und einer Schweigeminute begann das dritte Konzert im Symphoniker-Zyklus des Musikvereins. Man gedachte damit des am 29. Dezember verstorbenen Horst Haschek, der langjähriger Präsident und Ehrenpräsident der Gesellschaft der Musikfreunde war.

Was danach folgte, war ein beglückender Konzertabend. Georges Prêtre holte das Beste aus dem Orchester, ganz ohne Gewalt und Zwang: Er diktierte nicht, sondern machte die Musiker wollen. Er stellte sich nicht nur in den Dienst der Musik, sondern ganz in den Dienst der Musiker. Als weiser Mediator und mit ökonomischer Zeichengebung vermittelte Prêtre den Mitmusikern erfolgreich: Horch, wie wunderschön deine Kollegin und dein Kollege spielt.

So erklang Brahms’ Vierte Symphonie in einer farbenreichen, musikalisch ungemein wirkungsvollen Darstellung. Das Orchester bewies rhythmische Kraft und überzeugte vor allem durch wunderbar musizierte lyrische Momente. Dadurch gelang eine Interpretation von wahrhaftiger Tiefe, die allen Aspekten des Werkes gerecht wurde. Paradigmatisch dafür stand das Flötensolo im letzten Satz. Zu Recht forderte Prêtre das Publikum nach Ende des Stückes gestenreich zum Extra-Applaus für den Solo-Flötisten Robert Wolf auf. Strawinskys „Feuervogel“-Suite war in den Händen der Musiker mehr als eine effektvolle Ballettmusik; den Symphonikern gelangen mit klanglichem Raffinement plastische Charakterzeichnungen.

Prêtres „Bolero“-Interpretationen eilt der Ruf des Legendären voraus und so durfte man sich für das Abschlussstück Außergewöhnliches erhoffen. Die Erwartungen wurden nicht enttäuscht. Prêtre animierte die Bläser zu ausdrucksstarken Soli, gab ihnen alle Freiheiten. Die Abwärtsbewegung der bekannten Melodie ließ der Dirigent mit insistierender Tempo-Verzögerung spielen, eine wirkungsvolle, ungemein sinnliche Variante. Zudem hielt Prêtre die Streicher bei Laune, die in Ravels Klassiker lange Zeit nur zupfen dürfen, und bekam dafür beim ersten „gestrichenen“ Einsatz der Ersten Geigen eine duftend aufblühende Kantilene geschenkt. Der berühmte Höhepunkt des „Bolero“ führte zu einer regelrechten Explosion der Orchesterfarben. Ein Ereignis.


 
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Am Anfang ein Abschied


Konzerthaus: Wiener Symphoniker unter Adam Fischer

Mahlers Sechste Symphonie ist für jeden Interpreten ein ganz schön großer Brocken. In den Händen von Adam Fischer und den Wiener Symphonikern blieb sie ein unüberschaubares Ungetüm.

Das Konzert der Wiener Symphoniker unter Adam Fischer begann mit einem liebevoll choreographierten Abschied. Der Haydn-Spezialist Fischer setzte die berühmte „Abschieds-Symphonie“ des Meisters vor Gustav Mahlers Symphonie Nr. 6. Nur auf den ersten Blick eine beliebige Entscheidung: In der fatalistisch konsequenten Durchführung eines Konzepts sind beide Werke ebenbürtig. Haydn führt die Musik durch sich selbst ins Nichts, indem er die Musiker nach der Reihe abgehen lässt; auch Mahler findet keine Erlösung durch Musik, der mächtige Final-Satz endet ohne verklärende Schlussapotheose.

Zudem beginnen beide Symphonien mit ruppigen Hieben der Streicher. Die kräftige Abwärtsbewegung am Beginn der „Abschieds-Symphonie“ ließ Fischer deutlich modellieren. Sofort war klar, was Haydn gemeint hat: Hier schlägt das Schicksal zu. Fischer entlockte dem Orchester schmerzvoll vibratolose Töne. Insgesamt schien man allerdings auf halbem Wege zu einem anderen Klangideal stecken geblieben zu sein, Intonationsmängel trübten das Klangbild.

Mahlers „tragische“ Symphonie Nr. 6 ließ Fischer schroff und rau anheben. Die Marsch-Attacke sagt wie bei Haydn: Hier schlägt das Schicksal zu. Fischer artikulierte so hart, dass es im Sitzmöbel richtig ungemütlich wurde. Trotz großer Bemühungen reichte es jedoch nur für oberflächliche Fortissimo-Exzesse. Auch heftige Pump-Bewegungen des Dirigenten konnten der Musik nicht zu innerer Kraft verhelfen, die Wirkung blieb eine rein physikalische im oberen Dezibel-Bereich.

Details überging Fischer: Der wirkungsvolle Dur/Moll-Kontrast, der die Symphonie dominiert, blieb über weite Strecken unbeleuchtet. Übergänge und Modulationen, die Schwellen zu neuen Klangwelten hätten sein müssen, blieben fast unbemerkt. Das Trio glotzte unschelmisch und bierernst. Allein die Soli des Konzertmeisters Florian Zwiauer deuteten an, wie es auch hätte klingen können: ironisch gebrochen. Eine Eigenschaft, die Mahlers Musik so einzigartig macht, die das Banalste nie banal klingen lässt. Zudem geizten die Symphoniker mit Klang-Pretiosen, manchen Fortissimo-Liegeton mit Crescendo formten sie gleichförmig, gelassen, in die Sessellehne gedrückt. Die Folge: Vor dem hilflosen Hörer türmte sich kein zerklüftetes Gebirge, sondern ein gleichförmiger, unüberschaubarer Fortissimo-Block.


 
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