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ernste musik

Konzerthaus: BBC Symphony Orchestra, Leonard Slatkin, Emanuel Ax


Walton als emotionale Hohlhippe

Wenn Mozarts Kompositionen feine Konfekte sind, dann sind William Waltons Werke siebenstöckige Hochzeitstorten. Zu diesem Schluss musste man nach dem Konzert des BBC Symphony Orchestra unter Leonard Slatkin im Wiener Konzerthaus kommen.

Einer der großen Vorbilder Waltons war der große Themen-Entwickler Beethoven, entwickelt hat sich in der Interpretation durch Slatkin aber gerade einmal die Lautstärke. Der amerikanische Dirigent baute ganz auf den Effekt der geschickt geschichteten Klangmassen, ohne die einzelnen Phrasen von Innen zu beleben.

Slatkin als Schaumschläger, könnte man sagen, und das mit viel Erfolg, denn in der Waltonschen Mixtur steckt viel Backpulver. Durchaus schälte Slatkin prägnante Aspekte heraus, im Vordergrund stand jedoch das Klang-Kontinuum, nicht die Analyse der Ingredienzien.

Biografisch fixierte Exegeten haben Waltons Opus als Abrechnung mit einer verflossenen Liebe (Satz I bis III) mit anschließender Schaffenskrise bis zur nächsten glücklichen Affäre (Satz IV) beschrieben. Das muss uns heute nicht mehr tangieren, weist aber darauf hin, dass viel Herzblut in dieser Partitur steckt. Der überaus leidenschaftliche dritte Satz entpuppte sich jedoch unter den Händen von Leonard Slatkin als emotionale Hohlhippe, vergleicht man seine Interpretation etwa mit der Einspielung Simon Rattles und des City of Birmingham Symphony Orchestra.

Das BBC Symphony Orchestra selbst, die Orchesterinstitution der Uraufführung der vollständigen Fassung der Symphonie, konnte durchaus mit überzeugenden Qualitäten aufwarten. Dazu zählte der rubinrote Klang der Celli und das blitzsaubere Blech. Dem wunderbar warmen Streicherklang fehlte es etwas an Kontur und Trennschärfe.

Subtiler ging der Pianist Emanuel Ax an die Zubereitung seiner Mozart-Konfekte. Das G-Dur-Klavierkonzert (K 453) ist mit seinen einfachen, innigen Themen prädestiniert für intime Klangvaleurs. Ax war um ausdifferenzierte hell-dunkel-Abstufungen bemüht. Das Orchester blieb einfärbig und im Klangprofil dick, der erste Satz wirkte gehetzt, im Mittelsatz dominierten süßliche Holzbläsersoli. Ein insgesamt enttäuschender Abend.


 
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Musikverein: Radio-Symphonieorchester Wien, Boder, Zilberstein


Fulminanten Erfolg mit Rachmaninow

Eine ungewöhnliche Entscheidung fällte Michael Boder und verkündete sie vor Konzertbeginn: Er ließ die vier Sätze von Mendelssohns "Ein Sommernachtstraum" und die dreisätzige "Sinfonia N 8" von Hans Werner Henze, die sich ebenfalls inhaltlich auf die Shakespeare-Komödie bezieht, nicht hintereinander, sondern verschränkt aufführen. Ein Satz Mendelssohn, ein Satz Henze.

Für die Entscheidung spricht die Verwandtschaft der beiden Klangsprachen. Melodie und klangliche Valeurs sind in beiden Werken unauflöslich miteinander verschränkt. Insgesamt spannte sich ein dramatischer Bogen, wenn auch auf Kosten der Dramaturgie von Henzes bildstarker Sommernachtstraum-Musik.

Henzes Adagio setzten Boder und das RSO klangdramaturgisch effektvoll um. Mendelssohns "Tanz von Rüpeln" fehlte etwas die Spannung, auch wären in den dahinhuschenden Streicherpassagen mehr farbliche Abstufungen denkbar gewesen, in den langsamen Teilen webte das Orchester jedoch feinste Klangteppiche.

Zu größter Spannung und Aufmerksamkeit war das Orchester durch das stupende Spiel der Pianistin Lilya Zilberstein animiert. Die Streicher legten in Sergej Rachmaninows drittem Klavierkonzert ihre Kantilenen wie eine zweite Haut um die aus dem Steinway modellierten Klangtürme. Und Zilberstein ihrerseits kommunizierte höchst aufmerksam mit Dirigent Boder und der Holzbläsersektion. Die in Moskau geborene Pianistin ließ die Hochseilakte dieses schwierigen Klavierkonzertes wie Spaziergänge wirken. Wie viele ihrer russischen Kollegen scheint sie das Wissen um alle Geheimnisse der Spieltechnik internalisiert zu haben. Folglich wissen ihre Hände genau, was sie zu tun haben, um alle klanglichen, technischen und musikalischen Unmöglichkeiten zu realisieren, die diese Partitur vorschreibt. Stoisch und ernst modulierte Zilberstein das Thema des ersten Satzes mit vollem Ton, im Finale mobilisierte sie nicht für möglich gehaltene Kraftreserven für imponierende Oktav- und Akkordketten.


 
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Wiener Festwochen: Ensemble Intercontemporain, Pierre Boulez


Überwältigend wuchernde Wechselrede

Von Idee und Wucherung spricht Pierre Boulez im Zusammenhang mit seinem Spätwerk. Wobei die Betonung klar auf der Wucherung liegt, durch die die Idee erst zum Werk wird. Im Rahmen der Wiener Festwochen waren im Museumsquartier zwei Kompositionen des französischen Meisters unter seiner Leitung zu hören, die dies bezeugen. "Anthèmes 2" und "Répons" bieten ein Raumklang-Erlebnis, für das die Halle E der rechte Ort ist. Die Hörer befinden sich bei "Répons" quasi im klingenden Stück wie in einer Glocke: Um das Publikum sind kreisförmig Instrumentalgruppen und Lautsprecher gruppiert, in der Mitte agiert das Hauptensemble.

Der Erweiterung des Instrumentenklangs und des Hörraumes durch elektroakustische Mittel geht auch Boulez' "Anthèmes 2" für Solo-Violine, Computer und sechs Lautsprecher aus dem Jahr 1997 nach. Um eine Geigenstimme (klar und sicher: Hae-Sun Kang) baut Boulez eine weiträumige Klangkulisse. Die Komposition entwickelt sich aus sich selbst heraus. Teile des Erklungenen werden vom Computer verarbeitet und zu späteren Zeitpunkten wiedergegeben. So begegnet der Solist sich selbst. Alles was klingt, kann den Musiker und die Hörer wieder einholen. Boulez nutzt die (durch die Klänge des Violin-Solisten gesteuerte) Computer-Software virtuos, die Komposition an sich wirkt jedoch eher wie ein Mittel zum Zweck: Die Möglichkeiten der Versuchsanordnung sollen beispielhaft dargestellt werden, die Qualität der Komposition scheint sekundär. Aus dieser Sicht ist "Anthèmes 2" wohl kaum zu den Hauptwerken des Komponisten zu zählen.

Letzteres wird von "Répons" aus dem Jahr 1981 behauptet. In der Tat erscheint es auch nach mehrmaligem Hören riesenhaft und unbezwingbar. Überwältigend ist die Dichte der Wucherungen im Klangraum, die ein ausgeklügeltes System an Lautsprechern und die Aufstellung der Instrumente ermöglicht. Orchester und Dirigent (in diesem Fall das makellose "Ensemble Intercontemporain" und Boulez selbst) befinden sich in der Mitte des Raumes, umgeben vom Publikum. Lautsprecher sowie Solisten mit nachklingenden Resonanz-Instrumenten wie Klavier und Harfe spielen im Rücken der Hörer. Die Themen wachsen aus dem Zentrum in die Peripherie und kreisen dort. Ein dichtes Netz an Bezügen spannt Boulez zwischen dem Orchester, den Solisten und den Realtime-Sounds aus den Lautsprechern. Die Klangsprache ist angereichert mit Ornamenten jeglicher Art, der Kern des Stücks scheint überwuchert von Figurationen. Ein teils beglückendes Hörerlebnis, das aber stets ein unbefriedigendes bleiben muss, weil sich der Verstand im labyrinthischen Geäst des Werks verfängt.


 
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