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ernste musik

wien modern I


Das Eröffnungskonzert von Wien Modern 2002 am Freitagabend ging an die Nieren: Selbst Teile des hartgesottenen Festival-Publikums verließen vorzeitig den Saal. Das Duo Granular=Synthesis hatte im Großen Konzerthaussaal unter eine Projektionsleinwand große Bass-Lautsprecher auf die Bühne gestellt.

Fast unhörbar fing das Stück "MINUS" an und entwickelte Schallkräfte von körperlich spürbarer Wucht. Subfrequente Schwingungen machten die Musik körperlich spürbar - als stünde man direkt unter einem Hubschrauber und erlebe das Rotorenflattern in Zeitlupe.

Anschwellender Klangraum

Das Ziel von Ulf Langheinrich und Kurt Hentschläger war es, einen "Audivisuellen Erfahrungsraum" zu schaffen. Klangquellen im abgedunkelten Saal waren die Konzerthausorgel, aufgezeichnete Klänge einer Barockorgel und elektronisch generierte Klänge.

Dazu projizierten Granular=Synthesis stroboskopisch pulsierende, dunkel-monochrome Flächen, abgelöst von einem hellen Lichtstreifen - nichts für Migräne- oder Herz/Kreislauf-Kranke.

Klangmassen per Mausklick

Organisten sah man keinen: Ein Software-Programm steuerte über MIDI die Cluster der Konzerthausorgel. Die Kombination der verschiedenen Klangquellen führte zu einem insgesamt weniger aggressiven Gesamteindruck als etwa ihr 2000 im Rahmen von Wien Modern uraufgeführtes Pol 3.0. Denn "MINUS" ist durch lang klingende Schallereignisse gekennzeichnet, fast ohne abrupte Übergänge.

Ein Eröffnungsabend, der auch als Ansage interpretiert werden kann: Wien Modern öffnet sich weiter außermusikalischen Medien wie Tanz, Film und Video. Auch wird die Zusammenarbeit mit Künstlern gesucht, die nicht akademisch ausgebildete Musiker oder Komponisten sind. So wie Granular=Synthesis, die im Feld der Bildenden Kunst - etwa mit der Einladung zur Biennale von Venedig - große Anerkennung erlangt haben.


 
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ernste musik

wien modern II


Wien Modern: Radio Symphonieorchester Wien, Kalitzke

Aufgebrochene Form und virtuose Stimmen

Der wuchtig-monolithischen Sound-Installation von „Granular=Synthesis“ am Eröffnungsabend folgte bei Wien Modern ein Konzert mit klassischer Orchesterbesetzung. Das Radio Symphonieorchester Wien spielte Werke, deren Texturen der geradlinigen Struktur des Eröffnungsabends diametral entgegengesetzt sind.

Unter Dirigent Johannes Kalitzke erklangen Stücke, die von starken Kontrasten geprägt sind und denen das Aufbrechen der Komposition selbst eingeschrieben ist. Allen gemeinsam: die Einbeziehung der menschlichen Stimme.

Reinhard Fuchs' „Wo Angst auf Umhülle prallt“ ist für eine Solo-Stimme und Orchester konzipiert. Das Auftragswerk von Wien Modern entwickelt sich über Wellen von ereignisreicher, vielschichtiger Themenarbeit zu einem klanglich fulminanten Höhepunkt. Erst nach diesem fängt die zuvor als Sprechstimme geführte Solostimme zu singen an und verschmilzt mit den homophoner geführten Instrumentalstimmen. Am Ende einer wirkungsvollen Coda haucht die Stimme sprichwörtlich ihr Leben aus. Die zu Grunde liegenden Textzitate (Edgar A. Poe, Adolph Wölfli, Giuseppe Ungaretti) erzählen von Vereinzelung und einem gefangenen Ich - Fuchs setzt sie in eine beklemmende Tonsprache um.

Bricht Fuchs mit der Exponierung einzelner Lautfolgen seine Textvorlage ansatzweise auf, geht Chaya Czernowin mit der menschlichen Stimme radikaler um.

„Shu Hai in an orchestral setting“ verlangte von der souveränen Solistin Ute Wassermann höchste Stimmakrobatik. Czernowin schreibt alle erdenklichen Möglichkeiten der Artikulation vor, vom Hauchen bis zum Röcheln. Die Stimme erklingt dabei über sechs im Raum verteilte Lautsprecherpaare als gespaltene Persönlichkeit. Nach wuchtigen Ausbrüchen des Orchesters gibt die Komponistin immer weniger formale Anhaltspunkte - vor den Ohren des Hörers löst sich das Werk zusehends auf.

Formal Geschlossenheit hingegen strebt Gérard Grisey mit seinem Stück „L' Icone paradoxale“ an. Es folgt in seinen Proportionen der strengen Bildkomposition der „Madonna del Parto“ des italienischen Renaissancemalers Piero della Francesca. Grisey schöpft aus den klanglichen Möglichkeiten seiner „spektralen“ Kompositionsmethode, erschafft dichte ätherische Klangräume und nutzt die Raumkonstellationen eines spiegelsymmetrisch positionierten Orchesterapparates. Anna Maria Pammer (Sopran) und Lani Poulson (Mezzo) ließen ihre Stimmen gekonnt im Gesamtklang des Orchesters aufgehen. „L' Icone paradoxale“ ist auf den ersten Blick nicht das spektakulärste Werk des 1998 verstorbenen Franzosen, aber ein formal und klanglich mit sicherer Virtuosität konstruiertes.

Kalitzke und das RSO absolvierten diesen stimmig konzipierten Abend konzentriert, obschon viele klangliche Details bei Grisey „L'Icone“ durch präzisere Ausführung zu größerer Wirkung hätten gebracht werden können.

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Tosende Übermalung eines Seelendramas


Energetisch, hypnotisch, erratisch - das sind Adjektiva, die man dem Dirigat von Valery Gergiev zuzuordnen pflegt. Sein Markenzeichen: die leicht zitternde Zeichengebung, vom Feuilleton auch "flirrende Finger" genannt. Mit den Wiener Philharmonikern spielte Gergiev am Wochenende ein Werk von Carl Philipp Emanuel Bach - das Konzert für Flöte in G-Dur, Wq 169, geriet weder energetisch noch erratisch, sondern erschreckend. Jedoch nicht auf Grund der dämonischen Ausstrahlung des Russen: Gergiev verpatzte wichtige Einsätze, Konzertmeister Werner Hink und der Flötensolist Dieter Flury mussten bei einigen Wechseln zwischen Solo und Tutti das Heft in die Hand nehmen.

Eine konkrete musikalische Vorstellung des Werkes wurde nicht evoziert, Flury versuchte redlich und mit technischen Problemen, etwas vom Geist der vorklassischen Komposition herüberzuretten.

Beethoven weniger peinlich

Weniger peinlich geriet Beethovens Ouvertüre "Die Weihe des Hauses". Wo allerdings Gergiev Gewusel hören will, haben andere schon Fugati ausfindig gemacht. Immerhin kamen die spezifischen klanglichen Vorzüge des Orchesters zur Geltung.

Wie dem auch sei, bei Tschaikowskys Symphonie Nr. 4 war die Zusammenarbeit naturgemäß erbaulicher. Das mag auch daran liegen, dass sich dieses Werk von selbst erzählt, wenn man die großen Bögen zu spannen weiß. Das gelang Gergiev ausgezeichnet. Und das Ungefähre im Detail liegt ja einer wienerischen Musikerseele nicht gar so fern. So wurde das "Pizzicato ostinato" des Scherzo zum Kabinettstück der zupfenden Streicher.

Das Finale knallte Gergiev mit dicken Pinselschlägen gegen die Goldschicht des Musikvereins und genoss sichtlich die Lautstärke, die dieses Orchester zu bieten im Stande ist. Diese "Vierte" rührte nicht das Herz, sondern das Trommelfell - das fein gezeichnete Seelendrama blieb hinter dick aufgetragenen Farbschichten verborgen. <a href=www.wienerzeitung.at target=_new>wz


 
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