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ernste musik

Ein Rennpferd am Wiener Fiaker


Musikverein: Wiener Symphoniker unter Lawrence Foster, Jewgenij Kissin

Nach dem ersten Abend von Jewgenij Kissins Beethoven-Klavierkonzert-Gesamtschau waren sich die Kritiker einig ob der Großartigkeit des Gehörten. Das zweite Konzert, mit Beethovens viertem und fünftem Klavierkonzert, hat diesen Eindruck vertieft.

Das Klavierspiel des durchschnittlichen Profi-Pianisten verhält sich zu Jewgenij Kissins Klavierspiel wie ein Fertigteilhaus zu einer Loos-Villa. Bei Kissin stimmt das Verhältnis von Detail und Ganzem. Perfekte Proportionen. Nichts zu viel und nichts zu wenig. Dabei könnte ihn seine stupende Technik zu barocker Ornamentik verleiten. Doch davor ist Kissin gefeit. Alles ist gläsern, durchsichtig. Form follows function.

Das vierte Klavierkonzert in G-Dur formte Kissin aus einem Guss, virtuos, aber nie zum Selbstzweck. Der Pianist verdeutlichte thematische Beziehungen, die über die Satzgrenzen hinweg reichen, war stets Herr über das vielschichtige, vielstimmige musikalische Geschehen.

Das vertrug sich nicht besonders gut mit den Vorstellungen von Dirigent Lawrence Foster, der die Wiener Symphoniker zu dickbreiigem Breitwandsound drängte. Kissin wirkte wie ein Trabrennpferd, das man zu einem Wiener Fiaker gespannt hat, seine Begleiter mitschleppend und ihnen in jeder Beziehung überlegen.

Straff und majestätisch formte Kissin die Ecksätze des Konzerts Nr. 5 in Es-Dur. Kontrapunktische Ballungen durchleuchtete er mit musikalischem Röntgenblick. Dabei schüttelte Kissin Klavierklänge aus dem Ärmel, von denen man nicht wusste, dass es sie gibt. Bohrende Doppeltriller, markante Bassfiguren, locker-leichte Oktavketten - und dann diese Übergänge! Kissin bewältigte dynamische Kraftakte mit Leichtigkeit, um plötzlich in schwebende Piano-Bereiche vorzudringen, die die physikalischen Grenzen des Tasteninstruments zu sprengen schienen. Die Wiener Symphoniker konnten mit dieser absoluten Meisterschaft nicht mithalten, zumal es Dirigent Foster nicht gelang, der Begleitung musikalisches Profil zu verleihen.


 
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Versenkung in emotionale Tiefenschichten


Musikverein: Stefan Vladar spielte Johannes Brahms

Die vier Stücksammlungen mit den Opuszahlen 116 bis 119 führte Stefan Vladar im Wiener Musikverein auf. Ein Abend der feinen Nuancen.

Mit hochgezogenem Mantelkragen rettete sich das Konzertpublikum vor dem abendlichen Schneegestöber in den Musikverein. Passend zur stillen weißen Pracht auf den Straßen gab Stefan Vladar ein leises, inniges Solo-Recital.

Vladar wirkte konzentriert und in die Welt der aufzuführenden Werke vertieft. Auf dem Programm: Johannes Brahms’ Sammlungen mit den Opuszahlen 116 bis 119. Diese Stücke schrieb Brahms im Jahr 1892 in schneller Folge. Es sind intime, persönliche, Rückschau haltende Pretiosen, die Vladar bereits im Jahr 2004 für CD eingespielt hat. Seine ruhige Abgeklärtheit im Umgang mit den Stücken war durchwegs zu hören.

Vladar beeindruckte bei den Sieben Fantasien op. 116 mit fein nuancierten elegischen Passagen, wenn auch das erste Capriccio etwas ungestüm und technisch nicht bis ins Kleinste perfekt gelang. Mit glockengleichem Klang schwebten die drei Intermezzi op. 117 zwischen den vergoldeten Musikvereins-Wänden. Vladars Zugang wurde deutlich: Nicht analytischer Abstand prägt seine Interpretation, sondern tief empfundene Versenkung in die emotionalen Tiefenschichten der Spätwerke. Bei allem Raffinement wäre allerdings manches Detail auch kerniger und weniger verzärtelt denkbar gewesen.

Große Intensität und Klangzauber machten die Romanze in F-Dur zum Höhepunkt der Sechs Klavierstücke op. 118. Bei den technisch anspruchvollen Vier Klavierstücken op. 119 konnte Vladar an den allerschwierigsten Stellen – und nur dort – High-End-Ansprüchen nicht genügen. Er spielte mit Reserve und patzte trotzdem. Diese Details werden jedoch im Angesicht der ausgereiften interpretatorischen Leistung nichtig. Ein berührender Konzertabend.


 
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Ehrbar-Saal: Florian Boesch sang Schuberts „Winterreise“


Stimmkultur und packende Emotionalität

Mit einem Liederabend von Florian Boesch startete die Wiener Stadtinitiative ihre Konzertreihen im lange vergessenen Ehrbar-Saal.

Es ist kein Leichtes, im großen Wiener Konzertbetrieb einen neuen Veranstaltungsort zu etablieren. Die Stadtinitiative ist dieses Risiko mit der Bespielung des Ehrbar-Saales im Vierten Bezirk eingegangen. Fremd ist sie eingezogen, fremd zieht sie sicher nicht aus: Mit Florian Boeschs eindrucksvoller „Winterreise“ wurde das Wagnis belohnt. Der Saal war voll, die Stimmung angespannt konzentriert, der Jubel nach Schuberts Liederzyklus groß. Zu Recht. Florian Boesch, seit Jänner 2004 Ensemble-Mitglied der Wiener Volksoper, nutzte die intime Akustik des prunkvollen Saales für eine spannungsgeladene Seelenreise. Seine souveräne Stimmkultur erlaubte ihm eine intensive Deutung der Lieder. Jede Textzeile war mit emotionalem Sinn erfüllt. Seine gesangstechnische Brillanz setzte Boesch nicht vordergründig ein, sondern fand zu einer sehr persönlichen, packenden Winterreise-Version. Dabei zeigte sich, dass Boeschs Bariton auch bedrohlich dunkel klingen kann. Mit diesem Timbre tauchte der junge Sänger auch in die tiefsten Felsengründe der gequälten Seele ab. Pianist Russel Ryan folgte jeder emotionalen Regung gewissenhaft. Eine „Winterreise“, auf deren musikalisches Reifen man sich freuen darf wie bei einem kostbaren Wein. Freuen darf man sich auch auf die weiteren Konzerte im Ehrbar-Saal: Am 1. Februar spielt Ernst Kovacic, am 2. Februar folgen Bernarda und Marcos Fink, unterstützt von Anne Bennent.


 
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