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Friday, 21. May 2004

theater

Festwochen: The Children of Herakles


Flüchtlings-Schicksale im Parlament

Peter Sellars ist mit seinem Projekt „The Children of Herakles“ für die Wiener Festwochen im österreichischen Parlament zu Gast. Der erschütternd aktuelle Text des Euripides wurde mit professionellen Schauspielern und Asylsuchenden im neu-griechischen Sitzungssaal aufgeführt.

Lernen wir aus der Geschichte? Das prekäre Verhältnis von Historie, Gegenwartsbefund und Zukunftsentwurf macht als roter Faden das bisherige Programm der Wiener Festwochen zu einer erstaunlich stringenten Sache. Nach den bisherigen Höhepunkten – Krystian Lupas Version von „Klaras Verhältnisse“, Ostermeiers „Nora“ und „Wallisch Wandern“ des Grazer „Theater im Bahnhof“ – war mit Peter Sellars’ Euripides-Inszenierung „The Children of Herakles“ ein beeindruckendes Beispiel dafür zu erleben, dass ein genauer Blick auf unsere Geschichte lohnt. Euripides’ 2500 Jahre altes (Flüchtlings-)Drama, von Sellars ohne Striche aufgeführt, wirkt beklemmend aktuell. Sellars wählte einen bedeutungsvollen Ort für seine Produktion, die 2002 bei der Ruhrtriennale erstmals gezeigt worden ist: Er brachte das Flüchtlingselend ins Parlament, genauer in den historischen Sitzungssaal.

„Lernen“ wollte auch Innenminister Ernst Strasser und stellte sich vor der Aufführung einer Diskussion mit in Österreich festsitzenden Flüchtlingen. Was blieb, war der Wille, sich für Einzelschicksale einzusetzen. Und im Publikum blieb die ohnmächtige Betroffenheit darüber, wie unvereinbar die einzelnen Schicksale auf der einen Seite und auf der anderen Seite die Aufgabe scheint, die Menschenleben per Gesetz und Verordnung zu verwalten. Es geht um nichts weniger als die grundlegendsten Fragen der Menschheit. „Freiheit“ wünschen sich die Asylsuchenden, die in Österreich teilweise seit Jahren und zur Untätigkeit verdammt auf die Erledigung ihrer Fälle warten. Der aus Afghanistan geflohene Ghorban Ali Assadi brachte es auf den Punkt: „Ich will einfach leben. Wie ihr.“

Die Kinder des Herakles sind Flüchtlinge. Im doppelten Sinne, denn in Sellars Inszenierung werden sie von Jugendlichen aus dem Lager Traiskirchen dargestellt. In ihrer Heimat mit dem Tod bedroht, finden die Kinder des Herakles in Athen Asyl. Ihre Verfolger erklären daraufhin den Athenern den Krieg. Nur ein Blutopfer kann den Sieg Athens erzwingen. Makaria, eine Tochter des Herakles, opfert sich. Es sei ihr freier Wille, zu sterben. Der feindliche Tyrann wird besiegt und vor Gericht gestellt.

Präzise und deklamatorisch ist der Stil von Sellars’ Darstellern, eindringlich und kraftvoll wuchten sie den erschreckend heutigen Text des Euripides in den Parlamentsaal. Demophon (Brenda Wehle) und Kopreus (Karen Kandel) sind Berufspolitikerinnen im strengen grauen Kostüm, Jolaus (beeindruckend: Jan Triska) sitzt im Rollstuhl, Herakles’ Mutter (Ruth Maleczech) trägt den Tschador und der besiegte Tyrann Eurystheus (Cornel Gabara) wird im orangefarbenen Einteiler hereingeführt, wie ihn die Häftlinge von Guantanamo Bay tragen müssen. Dieser Hinweis wäre kaum notwendig, so lebendig wird auch die Kriegsgefangenen-Thematik bei Euripides verhandelt.

In dieser Festwochen-Produktion sind Theater, Politik und Gesellschaft nicht mehr voneinander zu trennen. Und regt so eine Auseinandersetzung an, die Not tut.


 
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Tuesday, 18. May 2004

ernste musik

Konzerthaus: BBC Symphony Orchestra, Leonard Slatkin, Emanuel Ax


Walton als emotionale Hohlhippe

Wenn Mozarts Kompositionen feine Konfekte sind, dann sind William Waltons Werke siebenstöckige Hochzeitstorten. Zu diesem Schluss musste man nach dem Konzert des BBC Symphony Orchestra unter Leonard Slatkin im Wiener Konzerthaus kommen.

Einer der großen Vorbilder Waltons war der große Themen-Entwickler Beethoven, entwickelt hat sich in der Interpretation durch Slatkin aber gerade einmal die Lautstärke. Der amerikanische Dirigent baute ganz auf den Effekt der geschickt geschichteten Klangmassen, ohne die einzelnen Phrasen von Innen zu beleben.

Slatkin als Schaumschläger, könnte man sagen, und das mit viel Erfolg, denn in der Waltonschen Mixtur steckt viel Backpulver. Durchaus schälte Slatkin prägnante Aspekte heraus, im Vordergrund stand jedoch das Klang-Kontinuum, nicht die Analyse der Ingredienzien.

Biografisch fixierte Exegeten haben Waltons Opus als Abrechnung mit einer verflossenen Liebe (Satz I bis III) mit anschließender Schaffenskrise bis zur nächsten glücklichen Affäre (Satz IV) beschrieben. Das muss uns heute nicht mehr tangieren, weist aber darauf hin, dass viel Herzblut in dieser Partitur steckt. Der überaus leidenschaftliche dritte Satz entpuppte sich jedoch unter den Händen von Leonard Slatkin als emotionale Hohlhippe, vergleicht man seine Interpretation etwa mit der Einspielung Simon Rattles und des City of Birmingham Symphony Orchestra.

Das BBC Symphony Orchestra selbst, die Orchesterinstitution der Uraufführung der vollständigen Fassung der Symphonie, konnte durchaus mit überzeugenden Qualitäten aufwarten. Dazu zählte der rubinrote Klang der Celli und das blitzsaubere Blech. Dem wunderbar warmen Streicherklang fehlte es etwas an Kontur und Trennschärfe.

Subtiler ging der Pianist Emanuel Ax an die Zubereitung seiner Mozart-Konfekte. Das G-Dur-Klavierkonzert (K 453) ist mit seinen einfachen, innigen Themen prädestiniert für intime Klangvaleurs. Ax war um ausdifferenzierte hell-dunkel-Abstufungen bemüht. Das Orchester blieb einfärbig und im Klangprofil dick, der erste Satz wirkte gehetzt, im Mittelsatz dominierten süßliche Holzbläsersoli. Ein insgesamt enttäuschender Abend.


 
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Monday, 17. May 2004

ernste musik

Musikverein: Radio-Symphonieorchester Wien, Boder, Zilberstein


Fulminanten Erfolg mit Rachmaninow

Eine ungewöhnliche Entscheidung fällte Michael Boder und verkündete sie vor Konzertbeginn: Er ließ die vier Sätze von Mendelssohns "Ein Sommernachtstraum" und die dreisätzige "Sinfonia N 8" von Hans Werner Henze, die sich ebenfalls inhaltlich auf die Shakespeare-Komödie bezieht, nicht hintereinander, sondern verschränkt aufführen. Ein Satz Mendelssohn, ein Satz Henze.

Für die Entscheidung spricht die Verwandtschaft der beiden Klangsprachen. Melodie und klangliche Valeurs sind in beiden Werken unauflöslich miteinander verschränkt. Insgesamt spannte sich ein dramatischer Bogen, wenn auch auf Kosten der Dramaturgie von Henzes bildstarker Sommernachtstraum-Musik.

Henzes Adagio setzten Boder und das RSO klangdramaturgisch effektvoll um. Mendelssohns "Tanz von Rüpeln" fehlte etwas die Spannung, auch wären in den dahinhuschenden Streicherpassagen mehr farbliche Abstufungen denkbar gewesen, in den langsamen Teilen webte das Orchester jedoch feinste Klangteppiche.

Zu größter Spannung und Aufmerksamkeit war das Orchester durch das stupende Spiel der Pianistin Lilya Zilberstein animiert. Die Streicher legten in Sergej Rachmaninows drittem Klavierkonzert ihre Kantilenen wie eine zweite Haut um die aus dem Steinway modellierten Klangtürme. Und Zilberstein ihrerseits kommunizierte höchst aufmerksam mit Dirigent Boder und der Holzbläsersektion. Die in Moskau geborene Pianistin ließ die Hochseilakte dieses schwierigen Klavierkonzertes wie Spaziergänge wirken. Wie viele ihrer russischen Kollegen scheint sie das Wissen um alle Geheimnisse der Spieltechnik internalisiert zu haben. Folglich wissen ihre Hände genau, was sie zu tun haben, um alle klanglichen, technischen und musikalischen Unmöglichkeiten zu realisieren, die diese Partitur vorschreibt. Stoisch und ernst modulierte Zilberstein das Thema des ersten Satzes mit vollem Ton, im Finale mobilisierte sie nicht für möglich gehaltene Kraftreserven für imponierende Oktav- und Akkordketten.


 
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