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Tuesday, 7. June 2005

ernste musik

Konzerthaus: Alfred Brendel spielte Mozart, Beethoven, Schubert und Schumann


Radikal subjektiv

Eine Woche nach Maurizio Pollini durfte man beim Festwochen-Musikfestival mit Alfred Brendel einen weiteren Klavier-Titanen in seiner Reifephase erleben.

Ein Instrument, zwei Klangwelten. Wie unterschiedlich Klaviere desselben Herstellers unter pianistischen Meisterhänden klingen können, zeigten Konzerte des Musikfests im Rahmen der Wiener Festwochen. Maurizio Pollini und Alfred Brendel bewegten sich in ihrem ureigensten Repertoire mit gegensätzlichen Klangidealen. Brendel weich, wolkig, höchst subjektiv; Pollini kantig, schillernd und an der absoluten Struktur interessiert. Beide Ansätze sind in sich schlüssig und für sich gültig, beide das fruchtbare Ergebnis einer Kreuzung von Intellekt und Emotion.

Mit zunehmendem Alter scheint sich beider künstlerisches Profil vertieft zu haben: Steht bei Brendel Werktreue für das Selbstverständnis eines Interpreten, der im Moment des Musizierens das Werk neu erfindet, ist bei Pollini das Streben nach der perfekten Realisierung der Komposition als Konstruktion zusammengefügter Töne hehres Ziel. Hier Klang als absolute, dort Klang als subjektive Qualität.

Mit keinem anderen Stück kann das Brendel exemplarischer zeigen als mit Robert Schumanns „Kreisleriana“. Nicht, dass man in Brendel den kauzigen Kapellmeister der literarischen Vorlage sehen soll. Parallelen lassen sich jedoch nennen: das Eröffnen neuer Welten, das unerwartete, poetische Spiel der Kräfte der einmal in Gang geratenen Musik. Der „reife“ Brendel lässt den Tönen die Zeit, nach der sie verlangen, verbindet das polyphone Geflecht und die schwebende Klanglichkeit in nuancenreicher Anschlagskunst. Gerade bei Schumann ist die Synthese von Polyphonie und Klang so schwierig und doch muss sie das Ziel sein. Hier wurde es erreicht.

Ebenso eigenwillig führte Brendel Mozarts Variationen über ein Menuett von Jean Pierre Duport wie ein kleines Hündchen vor. Mit großem Ernst und doch kindlicher Freude an dem Schabernack, den Mozart mit der einfachen Melodie treibt, führte es der Pianist an der kurzen Leine.

Bei Beethovens D-Dur Sonate, der „Pastorale“, schien Brendels Konzept aufs erste Hinhören weniger aufzugehen. Hier hatte sein radikaler Subjektivismus einseitige Folgen: Die Kontraste in den Tempi waren aufs Nötigste zurückgeschraubt, der Klavierklang wattig, die Diktion – trotz himmlischer Stellen wie dem Übergang zur Reprise des ersten Satzes – ausufernd.

Mit größter Konzentration gestaltete der gefeierte Schubert-Interpret drei „Moments musicaux“ aus der Sammlung mit der Nummer D 780. Dem folgte das Publikum gespannt, für gedehnte Sekunden schien niemand das Atmen zu wagen.


 
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Monday, 30. May 2005

ernste musik

Uneitler Dienst am Komponisten


Konzerthaus: Maurizio Pollini spielte Werke von Frédéric Chopin

Ein kleines Pollini-Festival in Wien: Eine Woche, nachdem Maurizio Pollini mit den Wiener Philharmonikern Mozart musiziert hatte, widmete sich der Pianist im Konzerthaus den Nocturnes und Balladen von Chopin.

Nichts ist leichter, als mit Werken von Frédéric Chopin Erfolge zu feiern. Fragen Sie jeden fortgeschrittenen Klavierschüler. Chopin wirkt. Maurizio Pollini wählt nicht den einfachen Weg. Er spielt Chopin nicht wegen dem zu erwartenden Effekt: Virtuose Stellen dienen nicht der Selbstdarstellung, sondern der Intensivierung kompositorischer Aussagen. Zudem setzt Pollini Chopin nicht als Quotenbringer ein. Der Italiener vertreibt schon mal nach einem anstrengenden Sonatenabend einen Teil der Musikliebhaber mit einer Schönberg-Zugabe, um dann erst zum Leckerbissen zu kommen – einem Stück von Chopin. So geschehen bei einem Solo-Recital vor sieben Jahren im Wiener Musikverein.

Derartiges mussten Fans des Romantischen diesmal nicht auf sich nehmen. Der italienische Pianist spielte im Wiener Konzerthaus ein reines Chopin-Programm. Pollini kombinierte die kleinformatigen Nocturnes mit den vier erzählenden Balladen. Wie bei Mozarts Klavierkonzerten vor einer Woche formulierte der Musiker streng und kontrolliert. Die Begleitstimmen der Nocturnes, die andere Pianisten zum Verweilen verführen, spielte Pollini ohne sentimentale Verzögerungen, fast gerafft. Darüber schwebten die weit gespannten Melodien umso eindringlicher. Sie glitzerten und flirrten aus dem Steinway des Hauses Fabbrini obertonreich, gesanglich, aber nie larmoyant. Pollini erreichte mit Hilfe des una-corda-Pedals faszinierende Wechsel von Licht und Schatten, reihte vertrackte Verzierungen wie glänzende Perlenketten und präsentierte die dramatische H-Dur-Nocturne aus op. 9 als kleine Schwester der Revolutions-Etüde. Unnachahmlich, wie Pollini in den Nocturnes op. 37 und op. 48 die Extreme zwischen heroischem und ergreifend schlichtem Gestus auslotete.

Etwas viel Pedal erwischte der Pianist in der Fis-Dur-Nocturne aus op. 15. Da ging Klang vor Detail. Auch die Balladen Nr. 1 und Nr. 2. erweckten den Anschein, als ob Pollini hier zu mehr Prägnanz fähig gewesen wäre. Ein Eindruck, den er mit den Balladen Nr. 3 und Nr. 4 wegwischte. Einer perfekten As-Dur-Ballade folgte eine atemberaubende in f-moll. Die schwierigsten technischen Passagen meisterte der Meister überlegen, formte sie aus einem Guss und setzte sie in den Dienst der ausgefeilten kompositorischen Form. Im Durchführungsteil der letzten Ballade formulierte Pollini plastische Gegenstimmen und überwältigte durch ein gespenstisch spannungsgeladenes Innehalten in der mächtig aufbrausenden Coda. Mit einer bissigen Revolutions-Etüde als dritte Zugabe riss Pollini das Publikum schließlich zu Standing Ovations hin.


 
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Wednesday, 25. May 2005

oper

Oper als eindringliches Theaterereignis


Wiener Festwochen: Philippe Boesmans „Julie“

Philippe Boesmans einaktige Oper „Julie“ feierte bei den Wiener Festwochen ihre österreichische Erstaufführung. Regisseur Luc Bondy führte sein Ensemble zu eindringlicher Bühnenpräsenz.

August Stindbergs „Fräulein Julie“ hat schon einige Komponisten zu Vertonungen animiert, zuletzt wurde im Wiener Semperdepot eine überzeugende Paraphrase von Gerhard Schedl in Szene gesetzt. Zusammen mit dem Festival d’Aix-en-Provence produzierten die Wiener Festwochen Philippe Boesmans „Julie“. Das Libretto steuerte Luc Bondy, gleichzeitig der Regisseur der Aufführung, im Verein mit Marie-Louise Bischofberger bei.

Bondy ist als Librettist nah an der dramatischen Vorlage geblieben und konnte als Regisseur mit einem überzeugenden Darsteller-Trio arbeiten. Neben Garry Magee als Hausbediensteter Jean hinterließen vor allem Malena Ernman als adelige Julie und Kerstin Avemo als Hausmädchen Kristin nicht nur stimmlich großen Eindruck, sondern auch darstellerisch. Dank Bondys subtiler Personenführung erreichte das Bühnengeschehen höchste Plausibilität und emotionale Wucht. Das sieht man auf Musiktheater-Bühnen selten.

Sind die Charaktere Strindbergs offen, vielschichtig und gegen die anti-feministischen Intentionen des Autors lesbar, gibt sich auch Boesmans Musik alles andere als verschlossen. In ihren stärksten Momenten vertieft die postmoderne Vielfalt der Partitur die Bühnencharaktere und öffnet – etwa während der Traumerzählung von Julie und Jean – bemerkenswerte Stimmungsräume.

Das Kammerorchester De Munt/La Monnaie unter Kazushi Ono setzte präzise die mannigfaltigen Klangfelder voneinander ab und bestach durch eine Vielfalt an Farben. Eine Vielfalt, die auch in der großen stilistischen Bandbreite von Boesmans Musik wirksam wird. Zuletzt bekommt das Publikum zu sehen, was bei Strindberg außerhalb des Bühnenraums geschieht: Der Selbstmord der gefallenen Julie, von einer Gesellschaft erzwungen, die das Verhalten von Männern und Frauen mit zweierlei Maß misst.


 
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