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Wednesday, 15. June 2005

oper

Naiver Barock-Workshop


Festwochen: Szenische Bach-Kantaten von Peter Sellars

Regisseur Peter Sellars enttäuschte bei den Wiener Festwochen mit einer naiv wirkenden szenischen Deutung zweier Bach-Kantaten.

Johann Sebastian Bachs Kantaten „Mein Herze schwimmt im Blut“ und „Ich habe genug“ mögen für heutige Hörer recht verstörende literarische Bilder in Töne setzen: Ausgedorrte Herzen, die, einem Tränenbrunnen gleich, in Blut schwimmen. Doch das entspricht durchwegs dem damals gängigen Bilderrepertoire. Die protestantische Lyrik des Spätbarocks bedient sich einer typisierten, bilderreichen Sprache, ist aber nicht Ausdruck seelischer Befindlichkeiten eines Dichtersubjekts. Gemeint sind vielmehr Sinnbilder für die Hinwendung zu Gott. (Ebenso wenig sollte man die orthodox-lutherisch und pietistisch gefärbten Texte mit Bachs Befindlichkeit gleichsetzen.)

Peter Sellars ignorierte alle historischen Fakten und lieferte im Rahmen der Wiener Festwochen eine Interpretation religiöser Texte, wie wir sie aus amerikanischem Kirchen-TV kennen: unter völliger Ausblendung ihres historischen Kontextes und der Anwendung simpler Küchenpsychologie. Nicht dass man ahistorisches Vorgehen von Sellars nicht schon gewohnt wäre. Das Ergebnis ist diesmal jedoch dürftig.

Auf theoretischer Ebene: Sellars verwechselt die barocke „Allegorie“ mit dem psychologisch gedeuteten „Symbol“, erweitert nicht ins Allgemeine, Abstrakte, sondern verengt ins Konkrete. Sellars legte die in ihren Anspielungen nur mit bester Bibel-Kenntnis verständlichen Texte psychologisch, ja psychosomatisch aus. „Mein Herze schwimmt im Blut“, BWV 199, wurde zum platten Seelendrama. Das Bühnen-Setting hielt Sellars simpel: Links das Orchester, rechts ein schwarzes Podium, auf dem sich die Sängerin Lorraine Hunt Lieberson bewegte. Wiederkehrende Textzeilen doppelte Sellars mit einfachen Bewegungsmustern. „Tief gebückt und voller Reue“ warf sich die Sängerin flehend vors Publikum. In seiner naiven Unmittelbarkeit wirkte das wie ein Improvisations-Workshop.

Die amerikanische Mezzosopranistin sang mit warmem Timbre und etwas opernhafter Phrasierung, ihr gelang eine durchaus eindringliche musikalische Deutung. Das Bostoner „Orchestra of Emmanuel Music“ unter Craig Smith gab der Musik kaum Profil, die undifferenzierte Streichergruppe sorgte für einen süßlich-dumpfen Bach-Sirup.

„Ich habe genug“ (BWV 82) deutete Sellers als Ausdruck für das Abschiednehmen vom Leben durch eine todgeweihte Patientin. Das mag aus konkreter Betroffenheit heraus durchaus relevant sein, als ästhetisches Konzept taugt es nicht. Die einfachen Bewegungen duplizierten auch hier die musikalischen Formabläufe. Zur Sängerin trat der Tänzer Michael Schumacher. Er ließ mit spärlichen Gesten eine große Glühbirne um die Sängerin kreisen. Als Bild für die Hoffnung auf das Jenseits hatte sich das schnell verbraucht.

„Was Bach so tief macht, ist die Da-capo-Struktur seiner Arien“ schreibt Peter Sellars im Programmheft. Mit kargen Bewegungsmustern setzte er diese musikalische Struktur räumlich um. Aber ist das wirklich das, was Bachs Musik „so tief macht“? Wieso sind dann Myriaden anderer Da-capo-Arien nicht „so tief“? Nicht die einzige Ungereimtheit in Sellars’ Konzept.


 
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Wednesday, 8. June 2005

ernste musik

Eine herbe Enttäuschung


Konzerthaus: Daniel Barenboim spielte Bachs „Wohltemperiertes Klavier“

Daniel Barenboim stellte sich im Wiener Konzerthaus mit dem Presslufthammer an den Sockel seines pianistischen Denkmals und arbeitete mit Erfolg an dessen Demontage.

Nach wenigen Takten Schweißausbrüche. Dann Mitleid wie beim Beobachten eines ehemaligen Eisläufers, der versucht, seine einstige Weltmeister-Kür zu laufen, aber ständig aufs Eis knallt. Schließlich Fassungslosigkeit. Daniel Barenboims Interpretation des ersten Bandes von Bachs „Wohltemperiertem Klavier“ löste beim Hörer und Kritiker mannigfaltige Reaktionen aus.

Das einstige Klavier-Wunderkind, das als Dirigent eine Weltkarriere hingelegt hat, spielte Bachs Meisterwerke klanglich, rhythmisch, technisch, musikalisch und agogisch ungenügend. In 24 Präludien und Fugen fand sich keine einzige barockähnliche Phrasierung. Haupt- und Nebenstimmen verschwammen hinter einem dichten Pedal-Nebel. Den Blick ständig an die Noten geheftet, stocherte sich der Pianist durch die polyphonen Welten. Bei jedem internationalen Klavierwettbewerb wäre Barenboim mit dieser Leistung schon in der ersten Runde gescheitert. Nein: Man hätte ihn gar nicht eingeladen.

Was noch mehr verwundert als die pianistische Unzulänglichkeit: Auch musikalisch war kein Konzept zu erkennen. Barenboim konnte keine nachvollziehbare Vorstellung, keine Idee der Stücke vermitteln. Es sei denn sinnloses Bässe-Dreschen, säuselndes Nebenstimmen-Winseln, dilettantisches Läufe-Nudeln und das Spielen falscher Töne (nach Noten!) ist ein gültiges Interpretations-Konzept.

In einem Zeitungsinterview hat Daniel Barenboim angekündigt, die Chef-Position beim Chicago Symphony Orchestra im Jahr 2006 aufzugeben, weil er wieder mehr Zeit am Klavier verbringen wolle. Er hätte es umgekehrt machen sollen. Zuerst üben. Dann auftreten.


 
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Tuesday, 7. June 2005

ernste musik

Das Lied als dramatische Kunst


Konzerthaus: Thomas Hampson, Wolfram Rieger

Klangmächtig und mit dramatischer Geste interpretierte Bariton Thomas Hampson Lieder von Gustav Mahler. Ein Komponist, mit dem sich der gebürtige Amerikaner intensiv beschäftigt hat.

Lösen Klavier-Soli Hustenreiz aus? Das Konzert von Thomas Hampson im Rahmen des Festwochen-Musikfests legt das nahe. Kaum hatte Hampson den Mund geschlossen und Wolfram Rieger den pianistischen Abgesang begonnen, schon ging es los: Husten, Röcheln, Heiserkeit. Trotzdem dürfte die Meisterschaft dieses „Begleiters“ nicht allen Hörern entgangen sein, wenn man den nachdrücklichen Schlussapplaus für Rieger als Maßstab nimmt. Zu Recht, denn Rieger spielte pointiert, flexibel und präzise, mit deutlichen klanglichen Abstufungen und überrumpelnden Stimmungswechseln von erschreckender Vehemenz zu schwebender Klanglichkeit.

Thomas Hampson gilt als einer der führenden Mahler-Interpreten. Dank seiner voluminösen Stimmkraft und seiner am Dramatischen orientierten Interpretation fokussierte Hampson alle Aufmerksamkeit auf sich. Der Bariton nutzte die Spannweite seiner Stimme vom Flüstern bis zum Schreien. Im Detail wirkte das oft polternd und wie mit dickem Pinselstrich aufgetragen. Plakativ wurde es nicht, dazu ist Hampson zu tief in die Materie gedrungen (der Sänger beschäftigt sich im Rahmen der Mahler-Forschung auch mit editorischen Fragen).

Das zeigte sich zudem in der intelligenten Zusammenstellung des ersten Programmblocks. Hampson versammelte Mahler-Lieder zum Thema Militär: Vom jugendlichen Überschwang („Frühlingsmorgen“) gelangte Hampson zum Gefangenen („Lied des Verfolgten im Turm“), Deserteur („Zu Straßburg auf der Schanz’“), Delinquenten („Der Tamboursg’sell“) und schließlich zu „Revelge“, einem Lied, das den Schrecken des Krieges auf den Punkt bringt.

Schrie Hampson als „Tamboursg’sell“ gegen sein Schicksal an und überschritt damit die Grenzen des Schöngesangs, tastete er sich an die „Kindertotenlieder“ mit größerer Vorsicht heran. Über welch mächtige Stimme Hampson verfügt, zeigte er dann noch einmal mit den Rückert-Liedern. Mächtig schmetterte „Du hältst die Wacht!“. Ganz so, als wolle Hampson die Trompeten-Klänge der Orchesterfassung evozieren. Neben seinem unvergleichlichen Volumen war auch Negatives zu verzeichnen: Nicht immer gelangen Hampson alle Lagen-Übergänge sauber, tiefe Piano-Töne verloren im Vergleich zu anderen Stimmlagen deutlich an Qualität.


 
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